Nur noch 50 Tage.
Die Uhr tickt, die Zeit läuft, vollkommen unbeeindruckt davon, was passiert. Ob irgendwo Menschen gegeneinander kämpfen, oder ein Kind geboren wird, ob wir vollkommen unter Stress stehen oder gemütlich einen Kaffee trinken. Ob ich es will oder nicht: die Zeit läuft, und damit komme ich dem Ende meiner Zeit hier in Laos immer näher.
Ich habe lange überlegt. Soll ich noch ein Jahr dranhängen? Nichts wäre leichter als das gewesen, oder auch verlockender. Wie sehr liebe ich meine Arbeit, und die Kinder, und meine Freunde, und die Lebensweise, und sogar das heiße Wetter und das Essen, das mir bis heute manchmal noch Kopf- oder Bauchschmerzen bereitet. Wie leicht wäre es, nichts am Status Quo zu ändern, und nach einem längeren Urlaub in Deutschland wieder hierher zu kommen. Ich habe Arbeitsplatz und Visum, eine Wohnung, Freunde, ein Motorrad, sprich, alles, was man so braucht.
Aber.
Seit einiger Zeit verspüre ich den deutlichen Ruf zurück nach Deutschland. Nicht für ewig, darum habe ich Gott gebeten, aber für länger als nur Ferien.
Als ich vor einem Jahr die Entscheidung getroffen habe, noch ein Jahr länger hier in Laos zu bleiben, war dies bereits in meinem Hinterkopf gewesen, die Tatsache, dass es nicht länger als ein Jahr sein wird. Ich habe versucht das zu vergessen, alle Optionen anzuschauen, mich nicht von etwas beeinflussen lassen, worin ich mich ja auch geirrt haben kann. Vielleicht war es ja nur mein eigener Gedanke. Und inzwischen hat sich so viel geändert, sicherlich doch auch die Antwort auf die Frage ob gehen oder bleiben…? Aber nein. Fragt mich nicht nach Wundern oder einer übernatürlichen Stimme, die gesagt hat, ich solle gehen, denn so etwas gab es nicht. Nennt es einen unterbewussten Wunsch, zurück nach Hause zu gehen, meinetwegen. Ich habe einen sehr starken und sehr bewussten Wunsch hierzubleiben, das weiß ich sicher. In den letzten Wochen war ich so oft den Tränen nah, allein bei dem Gedanken zu gehen. Aber wenn es mir so viel Kummer bereitet, dieses Land zu verlassen, warum tue ich mir das an, mögt ihr fragen? Weil mein Vater mich ruft, anders kann ich es nicht sagen. Denn auch wenn ich weiß, dass ich hierbleiben will, so weiß ich auch, dass das nicht Seinem Plan entspricht. Und dass sein Plan immer gut ist, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist. Nüchtern betrachtet bin ich eigentlich ziemlich weinerlich: ich kann reisen, ich gehe zurück in mein Heimatland, wo alle Menschen meine Sprache sprechen, und ich werde unglaublich gute Möglichkeiten haben, mich weiterzubilden! So viele Menschen auf dieser Welt haben all dies nicht, auch viele Menschen, die ich kenne. Außerdem wird es bestimmt möglich sein, Laos wieder zu besuchen und meine Freunde wieder zu sehen.
Und es ist ja nicht so, dass Deutschland ein großes schwarzes Loch ist. Ich habe Familie und Freunde. Und etwas, das sogar noch wertvoller ist. Als ich Gott meinen Kummer und meine Unzufriedenheit klagte, antwortete er einfach nur: „Aber ich gehe ja mit.“ Egal wo ich bin, er ist ja da.
Der Tag der Abreise rückt also immer näher. Inzwischen habe ich persönlich Frieden darüber gefunden, auch wenn es schmerzhaft ist und schwer werden wird. Ich freue mich so gar nicht auf den Kulturschock, der unvermeidlich ist, nach allem was ich so gehört habe. Und ich muss auch erst noch herausfinden, was ich denn dann in Deutschland machen werde. Aber ich vertraue darauf, dass ich es zur rechten Zeit wissen werde. Und bis dahin bin ich entschlossen nicht untätig oder nachlässig zu sein, sondern meine Arbeit und mein Leben hier zu einem guten Ende zu bringen und von meinen Freunden und Kollegen gebührend Abschied zu nehmen.
Mein Lieblingswort im Laotischen ist ເອົາໃຈໃຊ່ (Ao Tjai Sai), was in etwa bedeutet: etwas von ganzem Herzen tun. Das will ich in meinem Leben anwenden. Egal wo ich bin.


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